Was ich mir für den Umgang mit meiner behinderten Tochter wünsche

Die große Tochter von Mareice Kaiser ist fast vier Jahre alt, hat blonde Haare, einen starken Willen, ein süßes Lächeln und ist schwer mehrfach behindert. Diese Mischung bringt Menschen, die ihr begegnen, zu interessanten Reaktionen. Mareice erzählt, warum sie sich einen Perspektivwechsel wünscht und auch, warum Kommunikation so wichtig ist und wie sie mit einem Kind gelingen kann, das als taubblind gilt.

 
 
Die Menschen, die mir im Alltag mit meiner behinderten Tochter begegnen, sind unterschiedlich. Eine Situation werde ich aber niemals vergessen. Es ist jetzt fast drei Jahre her, es war Sommer, wir feierten den Geburtstag eines Freundes und waren sehr froh, dass unsere damals 1-jährige Tochter dabei sein konnte. Nach vielen Wochen Krankenhaus ein Hauch von Normalität.
 

Wir lagen auf einer Decke, die Magensonde für die Ernährung hing ihr damals noch aus der Nase. Viele Freunde waren da, ein fröhliches Fest. Auch die Oma unseres Freundes war dabei, eine freundliche alte Dame. Als sie unsere Tochter sah, wurden ihre Augen groß. Sie stützte die Arme in die Hüften und rief entsetzt: “Oh Gott! Sowas gibt`s noch!?

Fragen erlaubt

Als Mutter eines behinderten Kindes will und muss ich nicht mit Samthandschuhen angefasst werden. Wenn mich jemand kennenlernt oder das erste Mal auf meine behinderte Tochter und mich trifft, finde ich Fragen aller Art erst mal in Ordnung. Sie signalisieren Interesse und das ist schön. Fragen sind mir lieber als Unsicherheit in Form von betretenem Schweigen. Ein herabwürdigender Blick und ein Ohnmachtsanfall gehen für mich aber über das tolerierbare Maß hinaus.
 
Genau so verhält es sich mit dem defizitären Blick auf meine Tochter. In erster Linie ist sie meiner Meinung nach ein Kind – und nicht die Behinderte. Deshalb finde ich es schön, wenn der erste Kontakt zu ihr ähnlich abläuft wie zu nicht behinderten Kindern. Stattdessen höre ich oft als erstes: „Oh, was hat sie denn?“ und nicht „Hallo, wie heißt du denn?“.
 
Genau so schlimm – oder vielleicht noch schlimmer – empfinde ich die Fragen von näheren Bekannten, die immer wieder wissen wollen, wie es denn jetzt aussieht mit ihren Fortschritten. „Wie viel hört sie denn jetzt?“ nachdem wir uns einige Monate gesehen haben. Oder „Was genau sieht sie eigentlich?“. Statt sich ein paar Minuten Zeit für meine Tochter zu nehmen, mit ihr zu sein, mit ihr Kontakt aufzunehmen und spielerisch zu sehen, was bei ihr ankommt und wie sie darauf reagiert. Ich freue mich immer über Menschen, die in meiner Tochter zu allererst das Kind sehen und ihr auch so begegnen.
 
Aber natürlich kommt es auch immer auf meine Tagesform an, wie ich auf welche Sätze reagiere. An guten Tagen kann ich über ein „Was hat sie denn?“ nur schmunzeln, während es mir an schlechten Tagen die Tränen in die Augen treibt. Daher gibt es von mir auch keine allgemeingültigen Tipps für den Umgang mit behinderten Kindern, denn – Überraschung! – alle Menschen sind unterschiedlich und haben unterschiedliche Bedürfnisse. Manchmal ist ein Streicheln über den Arm in Ordnung, weil es Empathie beweist und manchmal ist es einfach nur Mitleid von oben herab, auf das ich gut verzichten kann.

Die Perspektive wechseln

Womit wir alle auf jeden Fall nichts falsch machen können ist der Perspektivwechsel. Klingt einfach, ist aber manchmal gar nicht so leicht. Dennoch wäre es schön, wenn Menschen, die meiner Tochter begegnen, einen kleinen Moment überlegen würden, was sie selbst sich an ihrer Stelle wünschen würden. Als taubblindes Kind, in einem Kinderwagen sitzend. Bestimmt niemanden, der nur fragt, was dieses Kind alles nicht kann. Vielleicht eher jemanden, der behutsam Kontakt aufnimmt und versucht, Kommunikation aufzubauen. Und Kommunikation geht auch mit einem taubblinden Kind – man muss sich nur drauf einlassen und: es zulassen.

 



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